Podcast
von Marlin Ernst, Hanna Austermann und zwei weiteren Student*innen
Podcast-Text zum Nachlesen:
Moderatorin: Willkommen! In diesem Podcast wird über das Thema der Raubkunst diskutiert und genauer über die Benin-Bronzen aus Nigeria. Dazu haben wir die Politik-Journalistin Kristina, die Auslandsstudentin aus Kamerun Veronica, die Moderatorin Marlin und Hanna die Komparatistik-Studentin eingeladen.
(Fragen zum Einstieg für die Politik-Journalistin)
M: Die deutsche Kolonialzeit war 1880. Vielen ist die deutsche Kolonialgeschichte gar nicht bekannt. Deutschland hatte z.B. Kolonien in Afrika und in der Südsee. Wie kommt es eigentlich dazu, dass die Diskussion erst jetzt beginnt, obwohl das schon so viele Jahre her ist?
Antwort: Deutschland hat sich zunächst mit der Aufarbeitung der NS Zeit beschäftigt. Erst als Frankreich sich als Vorreiter dem Thema gewidmet hat, hat Deutschland nachgezogen.[1]
M: Und wie läuft die Diskussion in Deutschland bisher?
A: Bisher sind sich alle Beteiligten darüber einig, dass es sich bei vielen Kunstwerken aus afrikanischen Ländern um Raubkunst handelt, weil sie größtenteils durch das Militär oder von Briten entwendet worden ist. Alle sind sich ebenfalls darüber einig, dass die geplünderten Kunstwerke wie die Benin-Bronzen zurückgebracht werden sollen, in die Stadt Benin.[2] Jedoch gibt es Diskussionen darum, wie und wann das passieren soll:
M: Wo liegen die Hindernisse?
A: Die meisten Hindernisse entstehen in Deutschland, denn es herrscht Uneinigkeit darüber, wie das geschehen soll: Deutschlands Standpunkt ist:
- Nicht ALLE Exponate sind geraubt, einige wurden auch in Auftrag gegeben
- Man muss zurückführen, woher genau sie kommen
- Es fehlt der Überblick darüber, um wie viele Güter es sich handelt
- Es dauert zu lange, die Digitalisierung zieht sich
Alle Versuche Nigerias die Exponate zurückzubekommen sind bisher gescheitert, Deutschland kontrolliert den Prozess. Außerdem gibt es kein festes Datum, der Prozess läuft seit November 2020 und wird seit Jahren ständig verschoben. Was allerdings passiert ist, ist dass 1,44 Mio € im Jahr 2022 dafür zur Verfügung gestellt werden.[2]
M: Und wann soll die Raubkunst zurückgebracht werden?
A: Im Sommer 2022 sollen die ersten Exponate an Nigeria zurückgegeben werden.[2]
M: Was wird getan, um diese Konflikte zu bewältigen?
A: Die Kommunikation zwischen deutschen und nigerianischen Museen soll vorangetrieben werden. Zum einen durch einer Ausbildung künftiger Kuratoren und Museumsmanager und dem Aufbau kultureller Infrastrukturen. Und zum anderen soll die Hilfe der Agentur für internationale Museumskooperationen des Auswertigen Amtes in Anspruch genommen werden.[3]
M: In diesem Podcast haben wir außerdem Hanna zu Gast. Hanna ist Studentin der Literaturwissenschaften an der Universität Paderborn. Sie wird uns heute etwas mit der Theorie von Aleida und Jan Assmann vertraut machen. Das Ehepaar beschäftigt sich unter anderem mit Erinnerungskulturen und den verschiedenen Gedächtnissen einer Gesellschaft. Was genau die beiden Kulturwissenschaftler herausgefunden haben, berichtet uns nun Hanna.
A: Hallo zusammen, ich versuche euch heute die Theorie von Herrn und Frau Assmann etwas näher zu bringen und mit Beispielen auszufüllen, damit sie verständlicher wird. Aleida und Jan Assmann halten fest, dass Erinnerungen im Austausch mit einer Gruppe entstehen und diese die Identität der jeweiligen Gruppe stärken, sowie auch die Identität der Gruppe die Erinnerungen festigt. Außerdem sagen sie, dass Erinnerungen immer einen emotionalen Gehalt aufweisen müssen, da Emotionen die Aufmerksamkeit verstärken und somit die Erinnerungen stabilisieren.[4]
M: Ah ok, und diese Gruppen-Erinnerungen behalten wir dann im Gedächtnis?
A: Ganz genau. Hier liegt dann das Herzstück der Theorie von Assmann und der Punkt, der uns heute interessiert. Die Kulturwissenschaftler:innen unterscheiden verschiedene Arten von Gedächtnissen. Uns interessiert heute aber nur eine, nämlich das kulturelle Gedächtnis. Hierbei sind Erinnerungen langfristig und werden von Institutionen immer wieder aufgegriffen, konserviert und vermittelt.[5] Institutionen sind in diesem Fall zum Beispiel Schulen, Museen oder Bibliotheken. Lehrkräfte informieren ihre Schülerinnen und Schüler beispielsweise über den Zweiten Weltkrieg und leiten sie somit an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu einem Teil der eigenen Identität zu machen. Diese Form des Gedächtnisses ist jedoch fern von dem alltäglich erlebten und hat als Fixpunkte Geschehnisse aus der Vergangenheit. Diese historischen Ereignisse werden durch Erinnerungsfiguren, wie Denkmäler festgehalten. Wichtig hierbei ist es, dass jede Generation ihre eigene Beziehung zu dem jeweiligen Erinnerungsgegenstand bildet, er wird als zugehörig oder fremd klassifiziert. Außerdem ist die Erinnerung sprachlich geformt und organisiert durch Spezialisten in dem jeweiligen Bereich, wie Geschichtslehrer oder Museumsdirektoren. Zum Schluss ist es wichtig, dass das kulturelle Gedächtnis immer mit einer Reflexivität einhergeht und ständig neu gedeutet wird.[6] Es gibt noch weitere Theorien in diesem Bereich, wie zum Beispiel die Theorie der multidirectional memory von Rothenberg, zu der wir im Anschluss noch etwas erzählen.
M: Ok und was haben jetzt Aleida und Jan Assmann mit den Benin-Bronzen zu tun?
A: Um zu verstehen, welche Bedeutung die Benin-Bronzen für die Nigeria haben, ist es wichtig zu wissen, in welchem Kontext sie entdeckt und geraubt wurden. Die Benin-Bronzen, die das Bild und Symbol des Königsreichs Benin sind, standen im Königspalast, bevor sie von den Briten geraubt wurden.[7] Die Skulpturen symbolisierten die Macht des Königs und seines Reiches als Bewahrer der Tradition seines Volkes. Indem die Briten diese Kunstwerke geraubt haben, haben sie gleichzeitig das Reich zerstört und der Tradition ihre Sakralität entnommen. Das Königreich Benin wurde ausgelöscht. Als kulturelle Artefakte, also Kunstwerke ihrer Urväter, gehören die Bronzen zum kulturellen Erbe der Nigerianer. Ohne diese Werke, die als Symbole oder Denkmal der alten Zivilisation gelten, geht die Geschichte des Königreiches von Benin verloren. Die Kunstwerke können nicht mehr Symbol des kulturellen Gedächtnisses sein, da den Nigerianern die Chance genommen wurde, sie auszustellen und sich mit ihrem kulturellen Erbe auseinanderzusetzen. In Nigeria könnten die Bronzen als Mahnmal oder Erinnerung fungieren und gleichzeitig als Inspiration für neuere Generationen, die sich ein eigenes Bild der Geschichte erschaffen. Da die Bronzen noch in Europa sind, wird den neueren Generationen die Möglichkeit genommen, sich mit den Wunden der Zeit auseinanderzusetzen.
M: Nun, also die Bedeutung für Nigeria ist uns nun klar. Aber warum werden die Bronzen nicht einfach zurückgegeben?
A: Wir haben nun den Standpunkt Nigerias beleuchtet, obwohl wir sagen müssen, dass dies nur Vermutungen sein können. Als Nachkommen der Kolonialherren, ist es uns nicht möglich und es wäre überheblich zu denken, wir könnten uns in die Erfahrungen und Wünsche der Nigerianer hineinversetzen. Aus deutscher Perspektive kann man jedoch folgendes sagen: Die Bronzen bilden in unseren Museen ein kulturelles künstlerisches Gedächtnis ab. Im Fokus steht für uns die Handwerkskunst mit der die Statuen geschaffen wurden und ihre Merkmale, jedoch wird nur sehr wenig an den Raub und die zumeist gewaltsame Kolonisierung erinnert. Unser kulturelles Gedächtnis besteht eher aus dem Wissen darüber, dass die Bronzen ein großes künstlerisches Meisterwerk sind und weniger aus dem Gedanken, dass sie eine gewaltvolle Vergangenheit haben und noch weniger daraus, was sie eventuell vor der Kolonisierung bedeuteten.
M: Gut, das habe ich verstanden, aber was können wir nun tun, um die Situation für alle Beteiligten zu verbessern und der Bedeutung der Benin-Bronzen gerecht zu werden?
A: Wie wir schon gesagt haben ist es wichtig, eine Reflexion anzuregen und zuzulassen, dass sich Rezipierende einen eigenen Standpunkt zu den jeweiligen Erinnerungsfiguren bilden. Hierzu ist es, denke ich, maßgeblich, dass der Blick auch auf die Bedeutung der Bronzen in Nigeria geworfen wird. In Museen müsste verstärkt darauf eingegangen werden, wie die Kunststücke ihren Weg nach Deutschland gefunden haben und außerdem, welchen Wert sie vor dem Raub in Nigeria hatten. Die Tatsache, dass viele der Statuen geraubt wurden, sollte nicht außer Acht gelassen werden.
Betrachten wir zum Beispiel die Schulen und den Kunst- oder aber Geschichtsunterricht. Hierbei ist es meiner Meinung nach von großer Relevanz einen Museumsgang gut vor- und nachzubereiten. Die Lehrkräfte sollten ihren Lernenden die Möglichkeit geben, sich richtig zu informieren und mit den Hintergründen auseinanderzusetzen, um somit ein eigenes und reflektiertes kulturelles Gedächtnis aufzubauen.
Außerdem wollten wir noch auf die Theorie von Rothberg eingehen, diese ist aus meiner Sicht eine gute Ergänzung zu Assmanns Theorie. Rothbergs Theorie gehört zu dem Universalismus in den Kulturwissenschaften
Er möchte Ereignisse aus ihrem relativen Kontext lösen, um davon zu lernen durch multidirectional memory.[8]
Ereignisse haben dennoch eine kulturelle Spezifik, in der sie gesehen werden müssen. Er hält fest, dass ein Ereignis immer mehrere Erinnerungen auslöst, je nachdem welche Perspektive man betrachtet. Und diese Perspektive müssen wir als Deutsche verstehen. Denn für uns stellt sich die Frage: „Können wir uns überhaupt hineinversetzten?“ Die Antwort ist klar: „Nein“. Wir können nur versuchen uns hineinzuversetzen und sie in unser Gedächtnis miteinfügen. Wenn Unterschiede gesehen werden, können auch Verknüpfungen gesehen werden, sodass dialogische Prozesse stattfinden können. Die Benin-Bronzen wurden im Zuge des Kolonialismus neu semantisiert.
Literaturangaben:
[1] Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-kulturgueter-benin-101.html (Stand: 30.03.22).
[2] Vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/koloniale-raubkunst-in-deutschen-museen-wenig-hoffnung-auf-schnelle-rueckgabe/26942200.html (Stand: 30.03.22).
[3] Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/2022-rueckgabe-benin-bronzen-100.html (Stand: 30.03.22).
[4] Vgl. Assmann, Aleida: Soziales und Kollektives Gedächtnis. In: https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/archive/litwiss-personen/fileadmin/litwiss/ang-ame/AA%20Download%20Aufsatz%20SozKultGedächtnis.pdf. (Stand: 29.03.2022) S. 2.
[5] Vgl. Assmann, Aleida: Soziales und Kollektives Gedächtnis. In: https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/archive/litwiss-personen/fileadmin/litwiss/ang-ame/AA%20Download%20Aufsatz%20SozKultGedächtnis.pdf. (Stand: 29.03.2022). S. 3.
[6] Vgl. Assmann, Aleida: Soziales und Kollektives Gedächtnis. In: https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/archive/litwiss-personen/fileadmin/litwiss/ang-ame/AA%20Download%20Aufsatz%20SozKultGedächtnis.pdf. (Stand: 29.03.2022). S. 6.
[7] Vgl. Samuel Misteli: Europäer wollen die berühmten Benin-Bronzen nach Nigeria zurückgeben. Doch das Museum dort gibt es noch nicht. Wo werden sie Bronzen landen? Besuch in einer Stadt, die von einer afrikanischen Renaissance träumt. In: Neue Zürcher Zeitung. Benin City 08.06.2021, 05.30 Uhr. URL: https://www.nzz.ch/international/benin-bronzen-eine-stadt-in-nigeria-traeumt-von-der-renaissance-ld.1624048.
[8] Vgl. Michael Rothberg: Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung. Aus dem Englischen von Max Henninger. Berlin: Metropol Verlag 2021.