Neues

Februar 2022

 Jenseits des Corona-Virus. Eine Welt ohne Herz

von

Imen Taleb, M.A.:

 

Die Pandemien nehmen in der Weltliteratur seit Jahrhunderten einen herausragenden Platz ein und wurden zu einem kreativen Thema zum Schreiben. Beispielsweise García Márquez Hundert Jahre Einsamkeit, Die Liebe in den Zeiten der Cholera und Albert Camus Die Pest. Obwohl sie dunkle Zeiten der Geschichte sind, haben diese Pandemien unsere Welt im Lauf der Zeit inspiriert. Die Bestürzung, die die Menschheit durch das Corona-Virus erlebt hat, wird sicherlich die Wahrnehmung der Welt von sich selbst (erneut) verändern. Durch diese überraschenden Eingriffe wird die Geschichte neu geschrieben. In der Tat stellt diese Pandemie die Konzepte des Alltags auf den Kopf. Disney ist weder eine Hexe, Paris keine romantische Stadt, in New York schlafen alle, und die chinesische Mauer ist keine Bastion mehr. Küsse, Umarmungen und Händedruck werden zu tödlichen Waffen. Und es ist ein Zeichen der Liebe, wenn man die Eltern und Großeltern nicht mehr besucht. Plötzlich wird uns klar, wie wertlos Macht geworden ist und dass Geld im Leben doch keine so große Rolle spielt.

Aber in dieser Welt passiert etwas, das man nicht glauben kann. Mein kritischer Kopf weigert sich, die plötzliche Verbreitung dieser Pandemie zu verstehen, und meine rebellische Seele stellt Frage auf Frage und sucht eine logische Antwort, die meine Vernunft zu überzeugen vermag. Aber vergeblich. Es gibt viele Dinge im Leben, die man nicht immer konkret erklären kann, aber mit der Zeit versuchen die Wissenschaftler die Macht der Natur ihnen gegenüber zu begreifen… Auf jeden Fall stelle ich ständig die Frage: Wie kann die Welt ein unsichtbares Virus in die Knie zwingen? Mein Verstand weigert sich, alles zu akzeptieren, was auf der Welt geschieht. Wer in der Corona-Zeit und danach geboren wird, wird allein geboren. Und wer beerdigt wird, der wird allein begraben. Wir werden keine Hochzeiten und keine Feiertage mehr richtig genießen. Die Welt befindet sich im Krieg gegen einen unbekannten, unsichtbaren und ungreifbaren Feind. Die Menschheit ist in diesem Corona-Krieg gleich. Millionen Menschen werden mit dem Corona-Virus infiziert. Es ist traurig, dass vor den Augen der Welt jeden Tag hunderte Zivilisten sterben. 

Die Liste der Totenzahlen ist für mich ekelhaft geworden. Tief in meiner Seele ist mir klargeworden, dass die globalen Medien, die rund um die Uhr laufen, ein Ziel erreichten, das definitiv zu ihren Gunsten ist. Die Weltkarte sollte neu gezeichnet werden: Ihr da oben – wir da unten hat schon Günter Wallraff gewarnt. Die Welt der Mächtigen nutzt immer noch den Reichtum der Welt zu ihren Gunsten. Bleibt noch die Frage Welt – Wohin? des Science-Fiction-Romans vom britischen Autor Aldous Huxley. Viele Webseiten sind heute ein Gefängnis ohne Mauern, das unser individuelles Leben und unsere individuellen Freiheiten außer Kraft gesetzt hat. Eine virtuelle Welt hat die sterbende reale Welt ersetzt. Ich bin überzeugt, dass meine Forschungspapiere nach der Corona-Zeit Müll geworden sind. In der Zeit der Digitalisierung müssen sie recycelt werden!

Vielleicht bin ich nicht die einzige, die das Gefühl hat, ein Tolstoi Protagonist in dem Roman Krieg und Frieden zu sein, der sich nach dessen Launen bewegt. Er selbst betrachtet die Geschichte als Quelle des Glücks und des Elends und das Leben gehört uns nicht.

Nach diesem Virus-Krieg wird sich die Welt verändern, aber meiner Meinung nach wird die menschliche Brutalität mit zunehmender Konsumbereitschaft steigen, und die Armen werden ärmer, und dennoch werden sie von einem elektronischen System überwacht. Das neue Leben erleichtert einerseits vieles und andererseits verliert der Einzelne seine Freiheit. Dies ist ein weiteres Kapitel der Globalisierung, eine „andere seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“ in Michael Endes Roman Momo, in dem die Völker ihre Freiheiten, ihre Kulturen und die Besonderheiten ihrer Zivilisationen verloren haben. Jeder auf der Welt isst das gleiche und sieht sich die gleichen trivialen Programme an. In der Tat ist die Welt mehr als ein Dorf geworden. Nach dem Corona-Virus-Krieg wird dieses Dorf durch Telefonkarten, Bankkarten oder vielleicht mit dem Ausweis, der der einzige persönliche Ausweis ist, überwacht. Mit dieser Karte, die alle persönlichen Daten enthält, ist das Leben einfach und flexibel, aber im Gegenzug zahlt der moderne Mensch mit seiner Freiheit. Nach der Corona-Zeit wird die Atmosphäre eine andere sein. Eigentlich bin ich persönlich nicht optimistisch, was nach Corona sein wird. Aber ich denke, dass ich meine Bücher und Papiere, Telefon, Computer und Internet ganz einfach aufgeben und in mein Land zurückkehren werde, um Bäume und Gemüse zu pflanzen. Ich werde sogar Hühner und Kaninchen züchten. Ich werde mit einer enormen Leidenschaft Romane, die zwischen den vergessenen Regalen stehen, lesen und mit dem schwarzen Stift in meine weißen Notizbücher schreiben. Vielleicht ist es mein letzter Traum, nachdem alle meine Träume in der Welt der Moderne und der digitalen Technologie erschüttert worden sind. Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit der globalen Digitalisierung erreicht mehr oder weniger das erstrebte Ziel, während diese Welt uns wie Gefangene unter Überwachungskameras leben lässt, die wir selbst aufstellten, um uns selbst auszuspionieren und täglich Berichte darüber zu schreiben, was wir getan haben und noch tun werden. Alles, was geschieht, ist gegen die Menschheit und gegen die Idee des kollektiven Lebens, von denen das erste Opfer die Zerstörung der Idee der Familie ist. Was passiert, führt zu mehr individueller Einsamkeit, menschlicher Brutalität und Tyrannei. Eine Welt ohne Herz. Werde ich mich eines Tages nach meiner alten Welt sehnen? Obgleich das Corona-Virus eine Gefahr für unsere Gesundheit darstellt, muss es aber doch wecken, was an Humanitären, Friedlichen in unserem Verhalten, in unserem Denken und unserer Kultur noch vorhanden ist. Was mir in dieser Zeit übriggeblieben ist, ist mein Wort, um meine Sehnsucht und mein Streben aufzuschreiben. Borchert sagte einmal nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in seinem bekannten Schreiben Unser Manifest: „Wir lieben diese gigantische Wüste, die Deutschland heißt.“ Und ich sage ganz offen: Wir lieben immer noch unsere Welt, die kalt und einsam nach dem Corona-Virus ist. Ich sehne mich nach meinen Mitmenschen. Und ich verbrenne vor Sehnsucht wie ein Liebhaber: Egal wie schwer das Leben nach dem Corona-Virus ist, es wird uns nicht von der Liebe abhalten.

 

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