Artikel
diMaG – Ausgabe 2
Dark-Tourismus, der Genozid an den Tutsi Ruandas und Erinnerungsorte in literarischen Texten aus deutschsprachigen und afrikanischen Ländern
Autor*innen
Anne D. Peiter
Abstract
Ausgehend von einem breit angelegten Textkorpus, der Autor:innen aus mehreren afrikanischen Staaten, Deutschland und der Schweiz umfasst, beschäftigt sich der Beitrag mit literarischen Annäherungen an Gedenkorte, die ab dem Sommer 1994, also nach dem Genozid an den Tutsi Ruandas, in verschiedenen Ortschaften entstanden. Alle Texte sind befasst mit der Schwierigkeit, sich dem Grauen dieser Katastrophe und der Offensichtlichkeit der Verbrechen zu stellen. Diese schlug sich in der Entscheidung nieder, nicht alle Ermordeten zu beerdigen, sondern Tourist:innen dem Anblick der tödlichen Verletzungen und dem Geruch der Verwesung auszusetzen. Es zeigt sich, dass die Autor:innen durchgängig eine Abgrenzung zum kommerziellen Dark-Tourismus suchten, und zwar durch eine starke Introspektion, die mit einem schreibenden Perspektivwechsel, hin zu den wenigen Überlebenden der von den Hutu-Extremisten in Gang gesetzten Vernichtungspolitik, korrelierte. Für Lukas Bärfuss, einen Deutschschweizer, und Nora Bossong, eine deutsche Autorin, tritt noch die Frage nach den Verbindungen zwischen Kolonialismus und genozidaler Massengewalt hinzu. Insgesamt zeigt sich im Medium der Literatur eine verstörende, erinnerungspolitische Leerstelle, die besonders stark in der Bundesrepublik als Nachfolgerin der ersten Kolonialmacht in Ruanda, nämlich des Deutschen Kaiserreichs, ausgeprägt ist. Das literarische Nachdenken über den Katastrophen-Tourismus wird damit zum Vehikel, die Vernichtung von schätzungsweise einer Million Menschen zu entexotisieren und diese in ein auf Prävention zielendes Gedenken jenseits nationalstaatlicher Grenzen einzubeziehen.
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